Liebe Leser
Haben Sie schon seiner gedacht? Er hatte gestern Geburtstag. Ohne ihn und seine fühlbar geniale Idee würden Sie das hier möglicherweise nicht mehr lesen können. Louis Braille, geboren am 4. Januar 1809, schuf die nach ihm benannte Blindenschrift aus 6 Punkten in zwei Spalten zu je drei Punkten. Dass man
Informationen auch punkten kann, fiel dem Hauptmann Charles Barbier ein, der eine Lautschrift (Sonogramm) aus 12 Punkten in zwei senkrechten Sechserreihen als Nachtschrift für seine Soldaten erdachte.
Louis Braille faszinierte die Idee von den Punkten so sehr, dass er
Schablone, Griffel und Papier in den Schlafsaal der Pariser Blindenschule mitnahm, um auch nachts an einem Alphabet zu arbeiten, dessen Buchstaben gut unter die Fingerkuppe passten und mühelos gelesen werden konnten. 1825, er war gerade 16, präsentierte er seinen Zeichensatz. Die Braille-Buchstaben hatten allerdings auch nicht die geringste Ähnlichkeit mit den Druckbuchstaben. Das erwies sich als Nachteil. Die Blindenpädagogen arbeiteten sowohl in Europa als auch in Amerika an einem Zeichensatz, der mit den Fingern leichter zu erfassen sein sollte, als die üblichen ins Papier geprägten Druckbuchstaben, den aber auch sehende Menschen lesen können sollten. Letztlich setzte sich jedoch der 6-Punktecode durch. Ein internationaler Zeichensatz drohte dann an nationalen Interessen zu scheitern. Man glaubte gute Gründe zu haben, Besonderheiten der jeweiligen Sprache zu berücksichtigen und Braille-Zeichen anderen Buchstaben zuzuordnen. So ist es nicht verwunderlich, dass der Braille-Code erst vom Blindenlehrerkongress in Berlin 1879 für Deutschland als verbindlich erklärt wurde. Es wurden dann Schreibmaschinen für die Blindenschrift entwickelt und Druckverfahren, die es möglich machten, Bücher als Einzelexemplare in
Braille zu übertragen und auch zu drucken. Der BBSB verfügt in seiner großen Nostalgievitrine mit “Meilensteinen der Technik im Dienste der Blinden” über ein Buch, das noch 1896 in tastbaren Druckbuchstaben hergestellt wurde. Es lässt sich also noch nachvollziehen, wie mühsam diese Schrift zu lesen war.
Dort wird auch eine Picht-Bogenmaschine gezeigt, wie sie in den ersten
Jahren nach ihrer Patentierung 1901 beschaffen war. Louis Braille konnte nicht ahnen, dass sein Sechsercode in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts den EDV-Leuten recht gut gefiel, sodass wir seit den 70er Jahren Braille-Displays als eine Art Bildschirm nutzen und Texte auch im Internet lesen können, wenn wir können.
So genial die Blindenschrift des Louis Braille auch ist, sie wird nur von allenfalls 20% der blinden Menschen beherrscht. Das hat mit dem
Erblindungsalter, mit dem im Alter oder durch Krankheiten beeinträchtigten Tastsinn in den Händen, aber auch damit zu tun, dass erblindeten Menschen eine Rehabilitation nur angeboten wird, wenn sie noch im berufsfähigen Alter sind und ins Erwerbsleben zurückkehren wollen.
Informationen in Braille an IT-Arbeitsplätzen, auf Medikamentenschachteln, auf Produkten des täglichen Gebrauchs, in Aufzügen, an Zimmertüren, an Handläufen von Treppen, an Automaten, an Sitzplätzen in den Fernzügen der DB gehören aber dazu, wenn man es mit der inkludierten Gesellschaft ernst meint. Wir wollen weiterhin in unserer Schrift an Bildung und am Kulturgut Literatur teilhaben und uns nicht auf eine nur gesprochene Kommunikation ohne zu schreiben und zu lesen abdrängen lassen. Das hindert uns freilich
nicht daran, auch Hörbücher, akustische Informationen und Smartphones zu nutzen.
Wir, die wir gelernt haben, blind zu leben, finden nichts dabei, wenn sich sehende Menschen immer noch mit der Deutung des handschriftlichen Gekritzels anderer Leute abmühen. Wir mögen es aber nicht, wenn uns mit mitleidiger Stimme gesagt wird, dass wir halt leider auf die Blindenschrift angewiesen seien. Natürlich nützen uns auch Sprachausgabe- und Spracheingabesysteme, so wie halt sehende Menschen auf langen Autofahrten gerne Hörbücher hören und lieber diktieren würden als zu schreiben. Wir wollen uns aber nicht auf eine
nur gesprochene Kommunikation reduzieren lassen, um uns Braille zu ersparen.
Worauf wir jetzt noch warten, ist der plastische Bildschirm, der auf bloße Berührung hin den Textanteil in Braille ausgibt. Soweit werden wir dann möglicherweise sein, wenn die Autoindustrie ihre computergelenkten Modelle auf den Markt bringen und uns als Kunden entdecken wird.
Auch das wird uns nicht daran hindern, Louis Braille hochleben zu lassen, jedes Jahr am 4. Januar.
Details über Louis Braille und das Ringen um eine Schrift für Blinde finden sich in C. Michael Mellors Buch “Louis Braille – fühlbare Genialität” (ISBN 978-3-00-028144-0), das 2009 beim Blindenschriftverlag “Pauline von Mallinckrodt” in Paderborn in Braille erschienen ist.
Die Entwicklung von Brailleschriftgeräten können Sie im Deutschen
Blindenmuseum Rothenburgstr. 14 in Berlin verfolgen.
Quelle: BBSB-Inform
Auf spiegel.de ist ein Bericht über Louis Braille zu lesen.
Auf meiner Seite könnt Ihr Euch auch über die Brailleschrift informieren und diese erlernen.