Liebe Bloggemeinde,
Schätzungen zufolge leiden mehr als 50% aller Menschen mit Blindheit ohne Lichtwahrnehmung an Problemen mit dem Schlaf-Wach-Rhythmus. Sie sind oft tagsüber müde und nachts hellwach. Generell wird der Tagesrhythmus vieler Lebewesen durch das Tageslicht beeinflusst. Dieses muss aber über die Augen wahrgenommen werden.
Jeder Mensch hat eine innere Uhr, die von Experten zirkadianer Rhythmus genannt wird. Diese Uhr bestimmt, wann Menschen sich wach fühlen und wann sie müde werden. Sie läuft nicht exakt 24 Stunden, sondern etwas länger oder kürzer, bei den meisten Menschen nur um ein paar Minuten, bei einigen aber auch um einige Stunden. Wenn diese Uhr sich nicht an äußeren Umständen orientieren würde, hätten alle Menschen das Problem, dass sich Einschlafen und Aufwachen beständig verschieben und sich irgendwann nachts kein erholsamer Schlaf einstellen kann, der Körper diesen aber dann tagsüber einfordert.
Gesteuert wird der Schlaf durch das Hormon Melatonin. Wenn es sich im Körper bildet, werden wir müde. Tageslicht, das wir über die Augen wahrnehmen, führt aber zur Unterdrückung der Hormonausschüttung. Da das Hormon dann im Körper schnell abgebaut wird, werden wir wach. Dies passiert in der Regel morgens. Das Licht des Fernsehers oder von Handy- oder Computerbildschirmen hat eine ähnliche Wirkung, weswegen Experten von der Nutzung vor dem Schlafengehen abraten. Bei blinden Menschen, die kein Licht über das Auge mehr wahrnehmen, funktioniert dieser Mechanismus oft nicht und sie Leben nach ihrer inneren Uhr, die mit Tag und Nacht oft nicht übereinstimmt. Dass dies ein großes Problem für das Arbeits- und Sozialleben darstellt, ist offensichtlich.
Blinden Menschen, die sich über längere Zeit tagsüber oft müde fühlen und einschlafen, dafür aber nachts nicht ein- oder kaum durchschlafen können, ist ein Gespräch beim Arzt oder Schlafspezialisten angeraten. Anfangs ist es sinnvoll, ein Schlaftagebuch zu führen, um festzustellen, ob es sich wirklich um eine Störung des zirkadianen Rhythmus handelt oder vielleicht andere Ursachen vorliegen (unregelmäßige Zubettgehzeiten, schlechte Schlafhygiene, Ernährung, Stress, Depressionen etc.). Ist dies nicht der Fall, wird der Arzt den Verlauf des Melatoninspiegels in Blut und Urin über den Tag hinweg messen, um der Störung auf die Spur zu kommen und diese eindeutig zu diagnostizieren.
Eine Therapie gibt es bisher nicht. Ein Wirkstoff, der einigen Betroffenen helfen könnte, befindet sich derzeit im Zulassungsverfahren in Deutschland.
Quelle: American Sleep Association
Das neuerlich 2008 zugelassene Melatonin-Preparat “Circadin 2 mg” ist für einen ganz anderen Anwendungsbereich als die Schlafrhythmustherapie für vollblinde Personen geeignet. Es gilt als Psychopharmacum zur allgemeinen Aktivitätsdämpfung bei z.B. hyperaktiven oder ADHS-Patienten und ist wegen seiner Ausgestaltung als Retard-Präparat sogar kontraproduktiv und völlig ungeeignet zur Schlafrhythmus-Steuerung.
Auf dem deutschen Medikamentenmarkt existiert zur Zeit kein Medikament auf Melatoninbasis, das zur Schlafsteuerung geeignet ist. Im europäischen Ausland – z.B. in Österreich und den Niederlanden – wird das Hormon Melatonin jedoch nicht als Medikament sondern nur als “Nahrungsergänzung” eingestuft; folglich ist es kaum über deutsche Apotheken
beziehbar. Es kann jedoch leicht und rezeptfrei übers Internet oder im Fernabsatz beschafft werden.
Vermutlich hunderte vollblinder Deutscher nutzen diese im Ausland freiverkäuflichen Melatoninpräparate in Dosierungen von 2 bis 6 mg und nehmen jeweils eine vor dem Zubettgehen ein.
Dennoch ist ärztliche Betreuung solcher Melatonin-Selbsttherapien dringend anzuraten, da die Neben- und Kreuzwirkungen von in den Hormonhaushalt eingreifenden Pharmaca so schwer vorhersehbar sind, dass dies vor der Jahrhundertwende zum Abbruch der Zulassungen führte.
Hilfreich jedoch dürfte zukünftig in allen Veröffentlichungen über Melatoninpreparate sein, wenn ganz zentral und unübersehbar auf die Eigenschaft der verzögerten Wirkung – retard – hingewiesen wird, die solch ein Preparat zur Rhythmussteuerung völlig ungeeignet macht.
In Asien – z.B. in Studien der Uni-Bangkok – gilt Melatonin (keinesfalls in Retard-Form) als üblicher Bestandteil von Einschlaf-Medizinen. Es wird zur Selbst-Therapie bei Jetlag-Problemen empfohlen.
In der aktuellen Diskussion von ursächlichen Zusammenhängen von Diabetes 2 und Schlafstörungen geht man mittlerweile nicht nur denjenigen Schlafstörungen verursacht von Diabetes 2 nach, sondern man verfolgt auch den Verdacht, dass Schlafstörungen allgemein erhebliche Mit-Ursache bei der Entstehung von Diabetes 2 sein könnten. Folglich müssen wir als Interessenswalter blinder Diabetiker die Erforschung von evtl. sich selbst verstärkenden Regelkreisen dieser Art anregen!”